Dokumentation des ISL-Symposiums auf dem Weltpsychiatriekongress erschienen – Psychiatrie-Enquête in der neuen Legislatur dringend geboten!
Berlin, 5. Januar 2018. „Die Einrichtung einer neuen Psychiatrie-Enquête ist dringend geboten“, so die gesundheitspolitische Referentin der ISL, Eva Buchholz, anlässlich der heutigen Veröffentlichung einer Dokumentation des ISL-Symposiums auf dem Weltpsychiatriekongress der World Psychiatric Association (WPA) im Oktober 2017.
Die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e.V. – ISL hatte auf dem Kongress die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention mit Blick auf die menschenrechtlichen Probleme in der Psychiatrie thematisiert. Im Mittelpunkt stand dabei sich aus der UN-BRK ableitender, notwendiger Reformbedarf sowie die Forderung einer neuen Psychiatrie-Enquête (einer vom Deutschen Bundestag einzusetzenden unabhängigen Untersuchungskommission).
Buchholz, die das Symposium auf dem WPA-Kongress organisiert hatte, fasst die Erkenntnisse aus den Vorträgen und Diskussionen der Veranstaltung zusammen: „Die kommende Bundesregierung ist gehalten, sich dem Thema Menschenrechte im psychiatrischen und psychosozialen Versorgungssystem anzunehmen und die gegenwärtige Lage zu untersuchen, so wie es der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderung (CRPD-Committee) bereits 2015 angemahnt hat! Es wird Zeit, die Forderungen des Vertragsausschusses umzusetzen, erstens befindet sich die Legislatur noch ganz am Anfang, und zweitens steht die nächste Staatenprüfung bereits 2018-2019 ins Haus.“
Die vorliegende Zusammenstellung dokumentiert die Vorträge und Diskussionen, gibt Eindrücke vom Kongress und der Protestkundgebung wieder und konkretisiert die diskutierten Forderungen mit Blick auf die politischen Akteur*innen und die anstehende Regierungsbildung.
Die Forderungen der ISL e.V. im Einzelnen:
- Der Bundestag möge eine neue „Psychiatrie-Enquête“ einrichten, eine unabhängige Sachverständigenkommission nach § 56 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, mit dem Ziel, eine umfassende Untersuchung der menschenrechtlichen Situation in der psychiatrischen und psychosozialen Versorgung durchzuführen.
- Bei der personellen Besetzung der Enquête ist es erforderlich, dass Vertreter*innen von Betroffenenverbänden (insb. Erfahrungswissende) von Beginn an angemessen beteiligt werden und ihr Sachverstand einfließt.
- Die Enquête soll einen menschenrechtlichen Schwerpunkt haben, ihr Arbeitsauftrag soll die Prüfung von Ausmaß, Art und Schwere von Menschenrechtsverletzungen im psychiatrischen und psychosozialen Versorgungssystem umfassen. Relevante Prüfaspekte sind in diesem Zusammenhang: Die Übereinstimmung medizinisch-psychosozialer Behandlungsbedingungen mit der UN-BRK, die Verletzung von Patientenrechten, (ärztliche) Zwangsmaßnahmen, strukturelle Fremdbestimmung und Gewalt, die Qualität des Beschwerdemanagements sowie die hieraus abzuleitenden legislativen und anderen Maßnahmen. Diese müssen insb. auch an den Ursachen ansetzen, wie sie bspw. im Konzept der „fürsorglichen Fremdbestimmung“ ihren Ausdruck finden, das sich durch Betreuungsrecht, die PsychKGs, etc. zieht.
- Unabhängig von der Einsetzung einer Enquête ist die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage erforderlich, welche die Einrichtung eines zentralen (bundeseinheitlichen) Registers zur Erfassung ärztlicher Zwangsmaßnahmen (Zwangsunterbringungen, Zwangsmedikationen, Zwangsuntersuchungen, Zwangsbehandlungen sowie alle weiteren zwangsweise vorgenommen therapeutischen Interventionen) vorsieht. Dies würde eine Empfehlung des UN-Fachausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderung (CRPD Committee) aus der Staatenberichtsprüfung an die Bundesregierung (2015) umsetzen und die Arbeit der Enquête erleichtern.
- Eine Dokumentation ärztlicher Zwangsmaßnahmen ist zudem zu einem verpflichtenden Bestandteil der Qualitätsberichte der Krankenhäuser zu machen; hierfür ist dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) ein entsprechender Regelungsauftrag zu erteilen. Aus der Dokumentation sollen sowohl der Umfang (einschließlich der Dauer), als auch die Art und Schwere der durchgeführten Zwangsmaßnahmen hervorgehen. Dokumentiert werden soll ebenfalls, welche Bemühungen die Klinik im Berichtszeitraum unternommen hat, ärztliche Zwangsmaßnahmen zu reduzieren.
- Den Mitgliedern der Enquête-Kommission sind alle erforderlichen Rechte einzuräumen, um menschenrechtliche Missstände in Einrichtungen des psychiatrischen und psychosozialen Versorgungssystems überprüfen zu können (unangemeldete Besuche, Akteneinsicht, Befragung von Patient*innen und des Personals, etc.).
- Menschenrechtlich relevante Qualitäts- und Versorgungsdefizite sind nur im Kontext der komplexen psychiatrischen und psychosozialen Versorgungsstrukturen zu begreifen – und zu verändern. Eine Enquête soll daher sowohl die ambulanten, stationären, als auch sektorenübergreifenden Versorgungsstrukturen in den Blick nehmen.
- Die Mitglieder des Bundestages sollten individuell und fraktionsübergreifend für die Einrichtung einer neuen Psychiatrie-Enquête, nur ihrem Gewissen verpflichtet, abstimmen dürfen. Sie sollten nicht an die sonst übliche „Fraktions- oder Koalitionsdisziplin“ gebunden werden.
Ansprechpartnerin und V.i.S.d.P.:
Eva Buchholz, M.A.
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