Alex Ernst kämpft mit den Buchstaben

Alex ErnstBerlin (kobinet) Alex Ernst aus Berlin hat in der Schule nicht richtig lesen und schreiben gelernt und galt als funktionale Analphabetin. Als Inklusionsbotschafterin in einem von der Aktion Mensch geförderten und von der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) durchgeführten Projekt setzt sie sich u.a. gegen Benachteiligungen von Menschen, die nicht richtig lesen und schreiben können, ein. In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift freundin wird Alex Ernst porträtiert. kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul sprach mit der Inklusionsbotschafterin über ihre Erfahrungen und auch darüber, wie es mit dem Fotoshooting lief. 

kobinet-nachrichten: Als frisch gebackene Inklusionsbotschafterin wurden Sie ja gleich richtig gefordert und haben sozusagen eine "Homestory" mit Fotoshooting für einen Bericht über Ihr Wirken in der Zeitschrift freundin mitmachen können. Worum geht es dabei genau?

Alex Ernst: Es geht um meine Vergangenheit als funktionale Analphabetin. Es geht um meine Schulzeit und wie ich meinen Weg gemeistert habe. Es geht auch darum wie mein Umfeld reagierte und wie hart mein Kampf mit den Buchstaben ist.

kobinet-nachrichten: Sie setzen sich für Menschen ein, die ähnlich wie Sie nicht richtig lesen und schreiben gelernt haben. Welche Erfahrungen machen Sie bei diesem Engagement?

Alex Ernst: Es ist wirklich interessant zu sehen, wie Menschen zum ersten mal hören das es 7.5 Millionnen, also ganz ganz viele Menschen, gibt, die in Deutschland eine Schule besucht haben und trotzdem nicht richtig lesen und schreiben können. Oft wird mir die Frage gestellt, "wie ich das nur gemeistert habe". Das erntet schon mal echte Bewunderung. Viele können es sich einfach nicht vortsellen, wie es ist nichts entziffern zu können. Da hilft es schon mal mit dem Gegenüber ein Wortspiel zu machen, damit sie ein Gefühl dafür bekommen. Es ist auch erstaunlich zu sehen, wie sich Menschen zum ersten mal damit auseinandersetzen und vielleicht sogar dankbar darüber sind, lesen zu können, wenn sie den Messestand verlassen. Aber das wohl beeindruckendste war als ein Betroffener zu mir kam und mich um Hilfe bat. Zuvor hatte er sich niemandem anvertraut.

kobinet-nachrichten: Vor dem Fotoshooting waren Sie wahrscheinlich ziemlich aufgeregt, wie lief das?

Alex Ernst: Oh ja! Ich war total nervös, habe ich mit Fotos machen eigentlich nicht so gute Erfahrungen. Ich hatte Angst, dass über meine Grenzen gegangen wird. Außerdem war da das kleine Teufelchen auf meiner Schulter, das mir ständig ins Ohr flüsterte das ich "dick und hässlich" bin. Zum Glück waren die beiden, also die Fotografin und die Make up Artistin lieb und haben mich immer wieder gefragt, ob das so okay für mich ist. Wir waren in einem Café in der Altstadt von Köpenick in Berlin. Das war seltsam, weil ein ganz normaler Betriebstag im Café war und viele Leute dort waren. Manche schauten ins Fenster und beobachteten das Geschehen. So viel Aufmerksamkeit mag ich eigentlich nicht, da ich immer denke "ich bin es eh nicht wert" - und im Mittelpunkt zu stehen, lässt mich immer ganz unsicher werden. Aber es war ein Schritt Richtung mehr Selbstwertgefühl. Ich habe viel Lob bekommen, das ich super fotogen bin und eine tolle Ausstrahlung habe. Das hat mich dann doch emotional etwas überfordert. Lerne ich doch gerade erst meinen Wert zu erkennen. Stolz bin ich trotzdem.

kobinet-nachrichten: Aufklärung über die Situation von Menschen, die Probleme mit dem Lesen und Schreiben haben, ist sicherlich wichtig, was würden Sie sich noch wünschen, was getan werden muss, um Inklusion auch für diese Personengruppe zu ermöglichen?

Alex Ernst: Leider hat sich das Denken in unserer Gesellschaft, das Menschen die nicht richtig lesen und schreiben können, automatisch dumm sind, sehr manifestiert. Seit neustem werden die Stimmen immer lauter, dass Rechtsradikale auch nicht richtig schreiben können, da sie wohl viele Fehler in ihren Hasskommentaren machen. So lese ich zurzeit, dass Menschen mit solchen Einstellungen mit Menschen die nicht richtig lesen und schreiben können über einen Kamm geschert werden. Das macht mich traurig, denn das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Ich will nicht in die gleiche Schublade gesteckt werden. Ich würde mir wünschen, dass Menschen, die nicht richtig lesen und schreiben können, sich nicht mehr schämen müssen.
Das es bald so zu unserer Gesellschaft gehört, wie Menschen, die zum Beispiel nicht gut Chemie können.

kobinet-nachrichten: Haben Sie ein paar Tipps für Betroffene, was Sie tun können, um besser mit Benachteiligungen klar zu kommen, bzw. um sich dagegen zu wehren?

Alex Ernst: Puh, das ist eine schwere Frage. Tue ich mich doch selbst schwer damit, mich "zur Wehr zu setzen". Ich glaube, das wichtigste ist, nicht alleine damit zu bleiben. Damit man vielleicht erst gar nicht in den Kreislauf der Gedankenspirale gerät. Manchmal hilft es auch, auf den Tisch zu hauen und zu sagen: "so nicht". Mit den Diskriminierenden zu reden und zu sagen was das für einen bedeutet, könnte auch helfen. Aber das kann ich jetzt sagen, wo ich gerade keine aktuelle Situation erlebt habe. Ich glaube, dass es wirklich helfen kann, die Öffentlichkeit zu suchen und zu sagen: "Stopp so nicht!"

kobinet-nachrichten: Vielen Dank für das Interview und weiterhin viel Erfolg bei Ihrem Wirken

Alex Ernst: Sehr gerne! Zum Schluss möchte ich noch jedem sagen: "du bist wertvoll, einzigartig und wirst gebraucht. Ganz egal, was du kannst oder nicht vergiss das nicht."