Kulturorganisation mit Behinderungen

Foto zeigt Roland Walter mit HutKassel: Man kann nicht nur viel erleben, wenn man eine Reise tut, wie dies das Sprichwort besagt. Man kann auch eine ganze Menge erleben, wenn man für andere, vor allem, wenn sie einen Rollstuhl nutzen, eine Reise und eine Veranstaltung organisiert. Davon kann Manfred Zalfen ein Lied singen, der die Veranstaltungen mit dem Performer und Inklusionsbotschafter Roland Walter in Kassel organisiert hatte. kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul sprach mit dem Kulturmanager. 

kobinet-nachrichten: Roland Walter hatte mit seinem Team nun mehrere Auftritte in Kassel. Was haben Sie da genau veranstaltet und wie sind die Veranstaltungen gelaufen?

Manfred Zalfen: Wir haben die Performace "Die Haut, in der wir wohnen" entwickelt und an verschiedenen Orten aufgeführt. Worum ging es dabei? Eine Tänzerin - schon älter - trifft auf einen Performer - auch schon älter. SIE – weiß noch was "Spitze" ist, kennt die Pein der Spannung, den Druck, wenn der Rist sich wölbt. ER – betrachtet seinen Körper als ein von Gott geschaffenes Eigentum – aber es sitzt im Gefängnis einer Behinderung – medizindeutsch: Spastische Tetraplegie mit Athetosen. Beide lieben Performance, lieben Tanz, können Performance, können Tanz – sie wurden begleitet von immer kräftiger werdenden Klängen von Schlagwerk, Trommel Klangelementen…

Die Tänzerin Deborah Smith-Wicke (Kassel), die Tänzerin Melanie Widmann und der Performance Künstler Roland Walter (beide Berlin) haben einen Abend kreiert, in dem in zwei Teilen - "Die Haut..." und "Skin on earth" die Möglichkeiten und Grenzen von Tanz - Performance eines behinderten und nicht-behinderter Künstler im Wechselspiel von Improvisation und Choreografie ausgelotet wurden. Führen die Tänzerinnen? Welchen Rhythmus kann der Klangkünstler Olaf Pyras vorgeben? Welche Grenzen setzen die Körper?

Die Proben habe in der ersten Januar Woche begonnen. Die einwöchigen Endproben gab es im März. Die Premiere fand am 24. März in "Halle 2", dem Studio und der Aufführungsstätte von SOZOvisions in motion statt. Eine zweite Vorstellung gab es am 25. März in der "Neuen Brüderkirche" in Verbindung mit einem Workshop zum "Element Erde". Eine weitere Aufführung von "Die Haut..." gab es am 23. April zum Auftakt der in Kassel vielbeachteten und beliebten Reihe "8 X Alte Brüderkirche" in der "Alten Brüderkriche". Alle drei Abende waren gut bis sehr gut besucht. Überraschend waren die positiven Reaktionen auf den Workshop, in dem mit echter Erde (Lieferung GaLaMa Stadt Kassel) gearbeitet wurde. Die Aufführung in der Alten Brüderkirche zog knappe 200 Besucher*innen an, es gab Standing Ovation. Die Presse berichtete jedes mal überaus positiv..

kobinet-nachrichten: Sie haben jahrelange Erfahrung im Bereich des Kulturmanagements und der Betreuung von KünstlerInnen. Was war bei der Organisation für die Veranstaltungen mit Roland Walter anders?

Manfred Zalfen: Aus meiner früheren Berufstätigkeit hatte ich einige Kenntnisse über Behinderungen (dachte ich). Einer meiner früheren Projekte war die Erstellung eines Restaurantführers für Menschen mit Behinderungen. Mit einem gebrochenen Sprunggelenk bin ich auch schon drei Wochen im Rolli durch Kassel gedüst. Aber zwei Wochen und mehr mit einem schwerstbehinderten E-Rolli-Fahrer sich durch Kassel zu bewegen und eine Performance zu organisieren, war schon eine besondere Herausforderung. Das begann mit der Suche nach einer adäquten Hotelunterkunft für die Januarproben. Ich musste lernen, dass ein behindertenfreundliches Hotel noch lange keine behindertengerechte Unterkunft ist. Und es ging bis zu Anfragen zur Preisgestaltung und Sponsoring für eine kulturelle Veranstaltung mit einem äußerst knappen Budget. Ca. 100,00 € für ein Zimmer + weitere 100,00 € für die beiden Begleiter-/Betreuerinnen. Da die Zahl der in Frage kommenden Hotels in Kassel überschaubar ist, wurde ich rasch im traditionellen Kulturhotel "Reiss" (heute "Tulip") fündig, mit den Konditionen 3 x zahlen - 4 x schlafen - akzeptabel. Das in diesem Hotel die Nachtbeleuchtung im Zimmer nicht bzw. nur mit Problemen nutzbar ist, sollte geändert werden. Die angefragten Hotelmitarbeiter*innen waren in der Regel professionell freundlich, von einem der "Großen in Kassel" (Fima G. Jochinger) erhielt ich allerdings auf schriftliche Anfrage keinerlei Antwort. 

Überraschend gut für mich funktionierte der jeweilige Transfer mit der Deutschen Bahn: Freundliche und kompetente Kollegen. Selbst als eine Vorbestellung im elektronischen Nirwana ("Betriebsstörung") verschwunden war, fand eine fröhliche Mitarbeiterin im Bahnhof Wilhelsmhöhe ziemlich flott eine Lösung.

Schwieriger ist die Benutzung der Trambahnen - Nach einer neuen Anweisung darf nur ein(!) E-Rolli in eine Bahn und muss rückwärts gegen die Fahrtrichtung abgestellt werden. Das ist nicht immer ganz einfach zu rangieren, manche Menschen mögen auch rückwärtsfahren nicht. Eng wurde es für mein Berliner Team auf einer zeitlich knappen Fahrt zum Bahnhof Wilhelmshöhe - Tram besetzt. Erst nach zum Teil heftigen Diskussionen hin und her konnte die Tram losfahren - andere Fahrgäste haben ein bisschen geholfen, der Fahrer ein halbes Auge zugedrückt. Der ICE wurde erreicht. Diese Regelung der Kasseler Verkehrsgesellschaft (KVG) ist in interessierten Kreisen ziemlich umstritten, wurde auch schon durch den Behindertenbeirat öffentlich angeprangert ... Abhilfe ist leider nicht in Sicht ... Liebe KVG: Wie wäre es mit veränderten technischen Lösungen?

kobinet-nachrichten: Sie haben durch diese Veranstaltungsorganisation ja einmal einen anderen Blick auf die Rahmenbedingungen für behinderte Menschen bekommen. Was ist Ihnen da in Kassel sowohl positiv als auch negativ aufgefallen?

Manfred Zalfen: Was ich positiv empfunden/wahrgenommen habe - im Umfeld des Projektes habe ich viel Interesse an der Person Roland Walter´s wahrgenommen, manchmal etwas scheu bzw. zurückhaltend, aber nie negativ bemitleidend. Enttäuscht hat mich der geringe Besuch anderer Menschen mit Behinderungen trotz gezielter Ansprache. Erschreckend finde ich den "Geiz" des Publikums bei Veranstaltungen, in denen kein Eintrittsgeld erhoben, aber um Spenden gebeten wird (bei Kirchens üblich). Die relativ geringe Anzahl der 5- oder auch 10,00 € Scheine und die geringe Gesamteinnahme (wär bei 15,00 - 18,00 € Einrtritt erheblich höher) lässt bei mir die Frage aufkommen: "Wie haltet Ihr, liebes Kasseler Publikum es eigentlich mit der Wertschätzung künstlerischer Leistungen?"

kobinet-nachrichten: Was steht für Sie im documenta-Jahr als nächstes auf dem Programm?

Mnanfred Zalfen: "Zeitgenossen" - ein integratives, inklusives Tanzprojekt von ZEDA und der Kasseler Tanzwerkstatt. 17./18. und 24./25. Juni 2017, "Halle 2" Grüner Weg 15-17;               

"Hawari - Chant d´amour et de mort"- von Olivier Messiaen; eine genre- und generatonsübergreifende Bewegungsperformance des "Freien Tanzkollektivs Labyrinthos, Aufführung  12. Juli 2017, Martinskirche

kobinet-nachrichten: Vielen Dank für das Interview.