Sensibler Umgang mit Menschen und Akten gefordert

Martin Hackl
Martin Hackl

Bad Kissingen: Der Inklusionsbotschafter Martin Hackl hält im Zusammenhang mit der Aufarbeitung der Arzneimittelprüfungen an BewohnerInnen des Auhofs einen sensiblen Umgang mit den betroffenen Menschen und ihren Akten für notwendig.

Martin Hackl beschäftigt sich seit einigen Jahren mit der Aufarbeitung seiner persönlichen Geschichte: Leben im Auhof, einer großen Einrichtung der Rummelsberger Diakonie. Unter anderem geht es dabei auch um Arzneimitteltests, die an ihm als 10-Jährigem gemacht wurden. Ausgelöst durch Martin Hackls Gang in die Öffentlichkeit hat die Rummelsberger Diakonie inzwischen ein externes Team von HistorikerInnen damit beauftragt, die Geschichte des Auhofs aufzuarbeiten. Vor kurzem hat deshalb eine Historikerin Kontakt zu Martin Hackl aufgenommen und ihn nach Einsicht in seine Akte gefragt. Diese Anfrage bewegt ihn seither sehr und wirft bei ihm viele Fragen auf. Er selbst weiß um die Arzneimittelprüfung und deren Auswirkungen und kann der Akteneinsicht zustimmen oder sie ablehnen. Aber was ist mit den Menschen, die das nicht (so einfach) können? Wie und wann werden all jene, deren Akten jetzt durchforstet werden, darüber informiert, dass ihre Akten von Fremden gelesen werden? Und was löst ein ungefragtes Lesen der Akten bei den betroffenen Menschen und Angehörigen aus, wenn sie dann davon erfahren? Heimakten enthalten viele, sehr persönliche, Informationen, die man nicht einfach veröffentlicht wissen will. Oft kennen die Betroffenen und ihre Angehörigen ältere Akten selbst nicht. Die Formulierungen, mit denen Menschen und ihr Verhalten oft beschrieben und bewertet wurden, sind unter Umständen drastisch und erniedrigend.

Daran schließen sich für Martin Hackl weitere Sorgen an: Welche unabhängigen Personen unterstützen die betroffenen Personen und ihre Angehörigen dabei, das Leid, das durch das Wissen über Unrecht ausgelöst werden kann, zu äußern? Wer unterstützt die Betroffenen bei einer möglichen Antragsstellung bei der Stiftung Anerkennung und Hilfe? Und schließlich: Geschieht all das für die Opfer rechtzeitig, denn eine Antragsstellung ist nach derzeitigem Stand nur noch bis Ende 2019 möglich?

Martin Hackl hat seine mit Unterstützung von Kommunikationsassistenz notierten Gedanken den kobinet-nachrichten zur Verfügung gestellt. Hier seine Worte im Original, anschießend einige Erklärungen dazu.

"treffen mit [Historikerin] um alte wunde am tatort heilen lassen
will nur post förmlich zu [Historikerin] beantworten

über straftat gut forschung prüfen
dazu kann kommen psychiatrie ansbach zu bedenken
normen wurden wohl dort grob ermittelt täter machte feinabstimmung

ob jähzorn unüberlegt eintrifft oder ob denken vorausgeht

für verräter ungeduldig wegen herausfragen der namen
was ärgert öffentlich mehr akte geben ohne ja der opfer die nicht sprechen
protestiere als ihr besonderer botschafter bei [Historikerin]
namen sind menschen die ich kenne
logik von leiden ist wissen über unrecht

ist unruhe wegen qualität menschsein motor der stiftung

der kern ist wissen"

Hier die mit Martin Hackl abgestimmte Erklärung seines Textes, zusammengestellt von den Kommunikationsunterstützerinnen Ingrid Stubenvoll und Susanne Göbel:

Martin Hackl wünscht sich, dass die HistorikerInnen gut nachforschen, was in der Psychiatrie Ansbach in den 1970er Jahren gemacht wurde, und ob und welche Verbindungen zwischen seiner Einrichtung und dem Bezirkskrankenhaus Ansbach bestanden. In seiner Erinnerung wurden die Normen für die Arzneimittelprüfung zu Nomifensin in Ansbach festgelegt, der behandelnde Nervenarzt seiner Einrichtung war dann für die Feinabstimmung verantwortlich.

Weiterhin fragt er sich, ob sich die Ärzte je Gedanken darüber gemacht haben, ob jähzorniges Verhalten durch ihn und andere behinderte BewohnerInnen unüberlegt war oder es nicht ernsthafte Gründe dafür gab, zum Beispiel weil in seiner Anwesenheit abwertend über ihn oder andere gesprochen wurde.

Mit Verräter meint er den behandelnden Nervenarzt und damit Täter. Er sieht ihn auch deshalb als Verräter, da der Arzt durch die namensgebundene Dokumentation der Arzneimittelprüfung seinen Namen verraten hat. Martin Hackl betont, dass Studien normalerweise anonym sind. Da jetzt im Rahmen der Aufarbeitung durch HistorikerInnen das Archiv der Heimakten nach weiteren Opfern durchsucht wird, werden aus seiner Sicht die damaligen Opfer zum zweiten Mal Opfer. Diese jetzt stattfindende Akteneinsicht, wieder ohne Einwilligung der Betroffenen, ärgert ihn mehr, als die namentliche Dokumentation von damals.

Für Martin Hackl begann das bewusste Leiden unter der Arzneimittelprüfung erst, als er erfuhr, dass ihm mit dieser Medikamentengabe Unrecht geschehen ist. Vorbereitete Medikamente, oft unüberschaubar und in wechselnden Zusammensetzungen, gehörten damals zu jeder Mahlzeit und für ihn und viele BewohnerInnen "einfach" zum Alltag dazu. Es bestand Hoffnung auf Hilfe durch Medikamente.

Er ist davon überzeugt, dass die Beteiligung verschiedener Träger der Behindertenhilfe an der Stiftung Anerkennung und Hilfe auch aus ihrer Unruhe entstanden ist, ob sie damals tatsächlich verantwortungsvoll mit den ihnen anvertrauten Menschen umgegangen sind.