Berlin, 31. Juli 2025 – Die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e.V. (ISL) kritisiert den aktuellen Entwurf des Pflegekompetenzgesetzes (PKG) als unzureichend und teils diskriminierend gegenüber Menschen mit Behinderungen. Der Entwurf versäume es, die in der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) garantierten Rechte auf gleichberechtigte Teilhabe und selbstbestimmte Lebensführung wirksam umzusetzen. Trotz einzelner Fortschritte bleibe das Gesetz seinem Anspruch nicht gerecht, pflegerische Versorgung bedarfsgerecht, niedrigschwellig und inklusiv zu gestalten.


„Pflege ist kein Privileg, sondern ein Menschenrecht“, so die ISL. Der PKG-Entwurf zeige exemplarisch, wie Reformpolitik strukturelle Ausgrenzung eher festschreibe als überwinde. Einige zentrale Schwachstellen benennt die ISL: die fehlende Berücksichtigung von Pflegetriage, der Ausschluss selbstorganisierter Unterstützungsformen, unzureichend barrierefreie Beratung, das Fehlen verbindlicher Präventionsstrategien, keine Notfallversorgung bei Assistenz-Ausfällen sowie ein intransparenter Gesetzgebungsprozess ohne echte Beteiligung der Betroffenen.


Die Organisation richtet einen klaren Appell an das Bundesministerium für Gesundheit (BMG), das jüngst seinen Fahrplan für den „Zukunftspakt Pflege“ für die im Koalitionsvertrag festgeschriebene Pflegereform veröffentlicht hat: „Es braucht echte und verbindliche Partizipation von Anfang an – nicht symbolische Beteiligung am Ende des Gesetzgebungsverfahrens“, so Thomas Koritz, Gesundheitspolitischer Sprecher der ISL. Die Reform müsse schon jetzt gemeinsam mit Betroffenen, ihren Selbstvertretungen und pflegenden Angehörigen gestaltet werden, wie es Art. 4 Abs. 3 UN-BRK zur aktiven Beteiligung vorschreibt.


Die ISL fordert unter anderem ein flexibles, individuell nutzbares Pflegebudget, gesetzlich verankerte Peer-Beratung, barrierefreie und kultursensible Beratungsangebote sowie niedrigschwellige Prävention – auch vor der Feststellung der Pflegebedürftigkeit. Zudem müsse eine akute Notfallversorgung mit klaren Zuständigkeiten eingerichtet werden.
Besonders kritisch sieht die ISL aktuelle Forderungen der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Pflegekosten stärker zu privatisieren. Solche Vorschläge seien in einer alternden Gesellschaft nicht nur unsozial, sondern
auch gefährlich kurz gedacht. Pflegende Angehörige leisteten bereits heute einen Großteil der Pflege unter großer Belastung – sie dürften nicht weiter allein gelassen werden.


Auch zum Thema Entbürokratisierung nimmt die ISL klar Stellung: Verfahren müssten verständlicher, digital zugänglich und barrierefrei gestaltet sein – ohne den Zugang zu Leistungen zu erschweren. Entbürokratisierung sei notwendig, dürfe jedoch nicht auf Kosten von Transparenz, Wahlfreiheit oder Qualität erfolgen.
Ziel muss eine menschenrechtskonforme, inklusive und sozial gerechte Pflegereform sein, die sich nicht in Verwaltung und Kostendebatten verliert, sondern Teilhabe, Selbstbestimmung und Verantwortung in den Mittelpunkt stellt.


Die „Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e.V. (ISL)“ ist eine menschenrechtsorientierte Selbstvertretungsorganisation und die Dachorganisation der Zentren für Selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen. Sie wurde nach dem Vorbild der US-amerikanischen „Independent Living Movement“ gegründet, um die Selbstbestimmung behinderter Menschen auch in Deutschland durchzusetzen.
V.i.S.d.P. Thomas Koritz