Positionspapier: Teilhabe ist Menschenrecht und keine Verhandlungsmasse

Selbstbestimmung verteidigen, Rückschritte stoppen!
Menschen mit Behinderungen haben ein unveräußerliches Recht auf Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft. Dieses Recht ist in der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) und im Benachteiligungsverbot des Grundgesetzes (Art. 3 Abs. 3 Satz 2) verankert. Umgesetzt werden sollten diese Grund- und Menschenrechte insbesondere durch das Bundesteilhabegesetz (BTHG), das der Gesetzgeber selbst als „einen weiteren wichtigen Meilenstein auf dem Weg hin zu einer inklusiven Gesellschaft“ bezeichnet hat (BMAS, FAQ zum BTHG).
Die Rückabwicklung der Inklusion behinderter Menschen fordern inzwischen nicht nur Rechtsextreme in und außerhalb der deutschen Parlamente und Verwaltung. Immer öfter votieren auch rechtskonservative Akteur*innen für eine Rückkehr zum – angeblich – kostengünstigeren Fürsorgesystem, in dem Menschen mit Behinderungen ohne deren Konsultation in Sonderwelten untergebracht werden dürfen. Neben, fast erwartungsgemäß, Boris Palmer reihen sich verschiedene CDU-Politiker*innen ein, leider auch Bundeskanzler Friedrich Merz in einer umstrittenen Rede beim Kommunalkongress des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Grundlagen-Text für diese Kehrtwende stellt gewissermaßen das BAGüS-Positionspapiers zur Bundestagswahl 2025 dar, das unter „der Oberfläche von Begriffen wie „Steuerung“, „Entbürokratisierung“ und „Komplexitätsreduktion“ […] zentrale Errungenschaften des BTHG in Frage stell[t]“ (Kritische Analyse „Teilhabe stärken statt einschränken“). Deutlicher werden da die Forderungen des Bayerischen Bezirkstages.
Die im Koalitionsvertrag vorgesehene de facto Stärkung der Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) und die Prüfung von Pauschalierungen unter dem Schlagwort „Bürokratieabbau“ (Z. 672 f.) bekommen vor diesem Hintergrund schärfere Konturen.
Erneut ist zu beobachten, wie Forderungen der extremen Rechten ins sogenannte „bürgerliche“ Lager einsickern. Den „Meilenstein auf dem Weg hin zu einer inklusiven Gesellschaft“ droht die aktuelle Regierung rückabzuwickeln: Teilhabe soll wieder abhängig gemacht werden von Wirtschaftlichkeit, Zumutbarkeit und fachlicher Einschätzung von nicht Betroffenen – statt von den Wünschen und Bedarfen der Menschen mit Behinderungen.
Dabei sind die für Rechtspopulismus typischen, in der Debatte leider vielfach zugrunde gelegten „einfachen Antworten“ vielfach widerlegt worden. So zum Beispiel die Annahme, steigende Kosten in der Eingliederungshilfe (EGH) seien direkt auf mehr oder teurere Leistungen an Menschen mit Behinderungen zurückzuführen – insbesondere wenn man den Fokus von der EGH auf gesamtgesellschaftliche Kosten verlegt. Auch sind sicherlich nicht die Menschen mit Behinderungen Schuld an einer veralteten Verwaltung und überbordender Bürokratie – im Gegenteil, gerade sie plädieren seit Jahren für effizientere Strukturen.
Es geht nicht ums Geld: Inklusion ist kein Luxus, sondern Menschenrecht
Doch die Diskussion um Kosten der Eingliederungshilfe greift zu spät an: Eigentlich sollte sie gar nicht geführt werden. Auf dem Spiel steht nichts weniger als die Kernstücke eines modernen, menschenrechtskonformen Teilhaberechts – insbesondere die beiden Kernstücke des BTHG:
- Das selbstbestimmte Leben, Lernen und Arbeiten in der Gesellschaft außerhalb von „Sonderwelten“ sowie
- die Personenzentrierung, also die individuelle Bedarfsermittlung.
Forderungen, die deren Rücknahme implizieren, sind daher kein überhaupt zu diskutierender Rückschritt im Kontext von Sparzwang, sondern ein Verstoß gegen die Grundprinzipien der UN-BRK und das Grundgesetz. Menschenrechte sind nicht diskutabel. Und es sind gerade Menschen- und Bürger*innen-Rechte, deren Wahrung uns Demokrat*innen heute wichtiger sein sollte, denn je!
Deutschland hat die UN-BRK ratifiziert und verpflichtet sich zu deren Umsetzung. Die im Raum stehenden fundamentale Eingriffe in das SGBIX sind Eingriffe in Menschenrechte:
- Relativierung der Personenzentrierung (UN-BRK Art. 3 – Achtung von Autonomie und individueller Würde).
- Rückkehr zu Sonderstrukturen statt inklusiver Lebensmodelle, Verlust von Wahlfreiheit und Kontrolle von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK Art. 19 – Recht auf selbstbestimmtes Leben und Einbeziehung in die Gesellschaft).
- Schwächung von Assistenzmodellen und Gefährdung selbstorganisierter Unterstützung (UN-BRK Art. 19 lit. b – Zugang zu Unterstützungsdiensten, die ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen).
- Auflösung des Prinzips „Teilhabe vor Pflege“ und Reduzierung von Menschen auf Grundversorgung (UN-BRK Art. 19, Art. 28 – Recht auf angemessenen Lebensstandard und sozialen Schutz).
- Aufweichung von Standards, die erst echte Teilhabe sichern sollen (UN-BRK Art. 4 Abs. 1 – Verpflichtung zur Umsetzung und Sicherung der Rechte).
- Strukturelle Benachteiligung Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf (UN-BRK Art. 3, Art. 5).
- Unterordnung von Menschenrechten unter Haushaltsvorbehalt (UN-BRK Art. 4 Abs. 2, Art. 5 – Verbot von Diskriminierung und Verpflichtung zur schrittweisen Verwirklichung der Rechte).
- Anstieg von Angst und psychische Belastungen für die Betroffenen und Vertrauensverlust in das System (UN-BRK Präambel, Art. 1, Art. 19).
- Stopp jeder Rückkehr zur Fürsorgelogik und stattdessen Erhalt und Ausbau des Prinzips personenzentrierter Leistungen – Menschen mit Behinderungen sind autonome Rechtssubjekte und keine Objekte wohlwollender Fürsorge.
- Sicherung der Wahlfreiheit unabhängig vom Unterstützungsbedarf – Unterstützung muss dem Menschen folgen, nicht den Kosten, dem Ort oder der Struktur.
- Keine Aufweichung von Standards und Verfahren im Teilhaberecht – diese sichern Rechte, verhindern Willkür und stärken das Vertrauen in das politische System.
- Stärkung von Assistenz- und Arbeitgebermodellen – sie sind Grundlage für ein Leben in Würde und Selbstbestimmung.
- Keine Entscheidung gegen Verfahren und Leistungen zur Teilhabe aus Spargründen und stattdessen vollständige Umsetzung der UN-BRK sowie der Empfehlungen des UN-Fachausschusses – Menschenrechte kosten Geld und sind nicht verhandelbar.
- Auch unter Sparzwang bleibt die Einhaltung völker- und verfassungsrechtlicher Verpflichtungen die Basis einer freiheitlich demokratischen Grundordnung und
- Bedenken Sie gut, in wessen geistige Gesellschaft Sie sich begeben, wenn Sie Menschen mit Behinderungen als Kostenfaktor darstellen!
Setzen wir uns gemeinsam für die Umsetzung der UN-BRK ein – für echte Inklusion und ein Leben in Würde für alle.
Folgen Sie den Hashtags in den sozialen Medien und unterstützen Sie die Petition bei Change.org! Danke.
Unterzeichner*innen
Aktive Behinderte — Zentrum für selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen e.V., Stuttgart
BiBeZ — Ganzheitliches Bildungs- und Beratungszentrum zur Förderung und Integration behinderter/chronisch erkrankter Frauen und Mädchen e.V., Heidelberg-Bergheim
Autismus Selbstvertretung Bayern e.V., Mallersdorf-Pfaffenberg
ISL Landesverband Bayern e.V. – Geschäftsstelle c/o Phönix e.V., Regensburg
Phönix e.V., Regensburg
Verbund behinderter Arbeitgeber/innen e.V. — VbA, München
WüSL — Selbstbestimmtes Leben Würzburg e.V., Würzburg
Zentrum für selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V. Erlangen — Beratung für Behinderte / Assistenzorganisation, Erlangen
akse — aktiv und selbstbestimmt e.V., Berlin
Aspies e.V. – Menschen im Autismusspektrum, Berlin
Berliner Zentrum für selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen e.V. — BZSL, Berlin
Kellerkinder e.V., Berlin
Assistenzgenossenschaft Bremen geG, Bremen
Selbstbestimmt Leben Bremen e.V., Bremen
Autonom Leben e.V., Hamburg
Mensch zuerst — Netzwerk People First Deutschland e.V., Kassel
SliN e.V. — Selbstbestimmt Leben in Nordhessen, Kassel
Verein zur Förderung der Autonomie Behinderter — fab e.V., Kassel
bbe e.V. – Bundesverband behinderter und chronisch kranker Eltern e.V., Hannover
Elternassistenz e.V., Hannover
ISL Landesverband Niedersachsen, Hannover
Selbstbestimmt Leben Hannover e.V., Hannover
Zentrum Selbstbestimmt Leben — Lüneburger Heide e. V., Eschede
Zentrum für selbstbestimmtes Leben Köln, Köln
Zentrum für selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen (ZsL) Mainz e.V., Mainz
ZsL Sachsen e.V., Zwickau
ZsL Nord e.V. — Zentrum für selbstbestimmtes Leben Norddeutschland, Kiel
Bildungs- und Forschungsinstitut zum selbstbestimmten Leben Behinderter — bifos e.V., Jena
ISL Landesverband Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Thüringen e.V., Jena
Jenaer Zentrum für selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen e.V. — JZsL, Jena
Berliner Behindertenverband e.V. (BBV), Berlin
Verein Lichtblicke e.V. — Interessenvertretung, Selbsthilfe- und Verbraucherschutzorganisation der Assistenzhundeführer in Deutschland, München
ZSL Bad Kreuznach e.V., Bad Kreuznach
jumemb – Gruppe (Selbstvertretung junger Menschen mit Behinderungen)
ISL- Bundesgeschäftsstelle
Berlin, 24. Juli 202
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